Rede zur Eröffnung (Einweihung) des Kreuzweges (1983-84) von Günther Pedrotti in der Augustinerkirche von Fürstenfeld am 29.10.1993. Bildgalerie


"Schon vor Jahrzehnten wären wir weg- und hinunter- und auch aus uns selbst heraus- und hinuntergegangen und hätten alles verlassen und zurückgelassen: unsere Mauern und unsere Möbelstücke und die Luft in diesen Mauern und in diesen Möbelstücken und unsere Bücher und unsere Schriften und die Luft in diesen Büchern und in diesen Schriften, die immer unsere Bücher und unsere Schriften gewesen sind und die immer unsere Luft gewesen ist und wie wir jetzt sehen, tödliche Mauern und tödliche Möbelstücke und eine tödliche Luft. Unsere tödlichen Eltern, denken wir und wir denken, wir hätten schon vor Jahrzehnten alles aufgeben und alles verlassen und alles zurücklassen und alles auslöschen sollten, ..." Und so weiter, ständig kreisend um die scheinbar einzige Alternative zur bedrängenden tödlichen Luft der Gegenwart: ein Text von Thomas Bernhard, besser: ein Diktat der Auslöschung (zit. aus einem Pichler-Katalog: "Ebene").

Günther Pedrotti setzt diesem scheinbar unausweichlichen Diktat vierzehn Stationen entgegen, man kann sagen: zur Erinnerung, zur Auflehnung, dass nicht alles ausgelöscht wird. Man soll nicht zuviel schreiben, noch weniger sagen. Einen Kreuzweg erklärt man nicht, man muß ihn nachgehen, zumal zum Kreuzweg von Pedrotti ohnehin schon viel geschrieben und noch mehr gesagt wurde. Außerdem können sie alles nachlesen und nachsagen, was schon zum Kreuzweg von Pedrotti in der Fürstenfelder Augustinerkirche, auf diese Entscheidung, ihn hier zu hängen, man wirklich stolz sein kann und gratulieren muß, also sie können alles nachlesen, was schon geschrieben und gesagt wurde zum Kreuzweg von Pedrotti.

Das Warendorfer Gebetbuch von 1795 bestimmt treffend die Aufgaben eines Kreuzweges: "Diese Andacht heißt Kreuzweg, weil sie uns den Weg vorstellet, den der leidende Heiland von dem Gerichtshofe des Pilatus nach der Schädelstätte mit seinem Kreuze gemacht hat. Sie besteht aus vierzehn Stationen oder Stillständen, weil wir auf diesem Leidenswege Jesu an vierzehn Orten mit unsern Gedanken stehen bleiben und das, was allda geschehen ist und in einem Bild vorgestellt wird, betrachten". Den ersten Anstoß für die Entstehung der Kreuzwege gaben Berichte und Pilgerführer von Jerusalempilger, die etwa seit 400 n. Chr. Die entsprechenden Erzählstoffe der neutestamentlichen und apokryphen Evangelien aufnahmen und diese mit den an Ort und Stelle schon vorhandenen Traditionen in Übereinstimmung brachten. Die bildliche Darstellung des Kreuzweges - und von da an auch die ungemeine Popularität dieser Andacht - ist eine Erfindung zur Zeit der Kreuzzüge: Zurückgekehrt aus dem Heiligen Land wollte man das dort Gesehene in die eigene, unmittelbare Lebenswelt übertragen. Die Passionsereignisse Jesu sollten in einem "neuen Jerusalem" nachgestaltet werden (Deutung der eigenen Ortlichkeit mit Hilfe des geographischen und zeitgeschichtlichen Rasters von Jerusalem). Erinnerungsarbeit, Vergegenwärtigung der Heilsereignisse, Compassio, also Mitleiden mit Christus, um möglichst tief mithineingenommen zu werden in das Ereignis seines Todes und dessen Überwindung - so lautet ein skizzenhafter theologischer Befund. Das 15. Jhdt. Brachte eine Fülle von literarischen und bildhaften Bemühungen um diese mittlerweile weit verbreitete Andachtsform hervor. Die stärkste Wirkung für die Weiterentwicklung des Kreuzweges zu seiner heutigen Form hatten die Palästina-Schriften des Christian Crys (gen. Adrichomius). Das Hauptgewicht seines Textes "Theatrum terrae sanctae" (Köln 1590) liegt auf den Leiden der Kreuztragung. Den Zusammenbrüchen Christi unter dem Kreuz sind die vier tröstlichen Begegnungen (Mutterbegegnung, Simonshilfe, Veronikadienst, Frauenmitleid) gegenübergestellt. Die beiden Postmortem Ereignisse, Kreuzabnahme und Grablegung wurden erst 1625 durch einen spanischen Franziskaner angefügt.

Als primäre Formen der Kreuzwege können bereits die Labyrinthe in den Böden der gotischen Kathedralen (Reims, Amiens, Chartres) verstanden werden, womit auch schon gesagt ist, dass die Kreuzwege Lebenswege verdichten, die ganze Größe und Dramatik menschlicher Existenz in einer symbolischen Wegstrecke zusammenfassen. Der glückliche Ausgang dieses Weges ist nicht selbstverständlich. Pedrotti steht mit seiner Arbeit in dieser Tradition christlicher Erinnerungsarbeit: Gegen das allgegenwärtige Diktat der Auslöschung - unweit von hier werden Städte, Kulturgüter, einst gemeinsame Traditionen und menschliches Leben ausgelöscht-, gegen die Behauptung, das Leben sei ein Irrkreis, ein circulus vitiosus wird eine befreiende Erinnerung gesetzt. Einer hat das Labyrinth menschlicher Existenz durchschritten, einen roten Faden durchgelegt, die historisch genau markierte Todestätte von Golgotha ist zugleich die Krönungsstätte, die eigentliche Antwort auf die ungezählten Tränen der Menschheit. Golgotha ist mehr als bloß die Kühlung der heißen Wangen des Sisyphus, der nur kurz verweilt um die unsinnige Arbeit, den Stein hochzurollen, wieder von vorne zu beginnen.

Man soll ruhig vorsichtig sein, dieses Herzstück christlicher Existenz auszusprechen und ins Bild zu bringen. Pedrotti ist vorsichtig genug. Seine Werke hier sind behutsame Annäherungen, kein frommer Programmwechsel, kein devotes "channel jumbing", bei all der Langeweile und Ausgereiztheit ein anderes, vielleicht unterhaltsameres, weil ausgefalleneres Programm "warum nicht Golgotha?".

Seine Bild-Wort-Tafeln sind Dokumente der Auflösung und Dokumente neuer Zusammenhänge zugleich. Auflösung des Raumes und chiffrierte Ortsangaben in einem, heimatliche Vergewisserung in und aus Fürstenfeld sowie in der eigenen Biografie und größtmögliche Verunsicherung, Exodus, Auszug aus innerer Langeweile, Zeichensetzung aus Verlegenheit - ob es die richtigen Zeichen sind, wer kann es kontrollieren, wer kann dem Pedrotti wirklich auf die Finger schauen, wir alle sind ja von der Auslöschung, von der Vergesslichkeit bedroht. Die "vollkommene Objektivierung der Vergangenheit durch vorhandene determinierte Objekte" erweist sich jedenfalls als Illusion. Die zur Überwindung einer örtlichen, geschichtlichen und biographischen Unsicherheit eingesetzten Bild-Wort-Zeichen erzeugen eine neue Unsicherheit. Aus Verlegenheit eine noch größere Verlegenheit. Dennoch richtig: Der Kreuzweg ist keine Straße der Sieger, der ganz Sicheren, der Wortgewaltigen, der Weltgewandten, der immer nur Eindeutigen. Kreuzweg ist Verunsicherung, Spurensuche nach noch offenen Lebens-Räumen, mithin und letztlich vorgegeben und geschenkte Erschließung jenes Ortes, den wir alle verloren haben, das Paradies. Die Erinnerung daran wird uns weiterhin quälen.

Die antike Mnemotechnik, die "Kunst des Gedächtnisses", die "ars memoriae", ursprünglich in der Rhetorik entwickelt, aber im Laufe des Mittelalters auf verschiedenste Bereiche menschlicher Kultur übertragen, ist tatsächlich eine Kunst, die der Auslöschung entgegengesetzt wird. Die ars memoriae braucht unsichtbare und sichtbare Gedächtnisbilder. Pedrotti hat einige geschaffen, sie sollen bleiben, allen die hierher kommen zur Schulung des Lebensgedächtnisses, zur Hilfe auf der Suche nach Größe, denn "an sich hat kein Ereignis Größe" (Nietzsche, F.).

Text, Hermann Glettler

Augustinerkirche: http://www.fuerstenfeld.at/index.php?id=349