Text für die CD-Rom "katalytische Reihung", Wien 2001  
 


Wissen rekurriert heute nicht auf mehr oder weniger obsolete Inhalte, sondern auf Information. Dass Dinge deshalb selbst Zeichenhaftigkeit sind, deren
Substanz im Verweisen begründet ist, ist ein Thema, das in der Kunst Günther Pedrottis eine große Rolle spielt. Mit dieser ontologischen Zeichenhaftigkeit der Dinge einher geht auch eine Auflösung der Grenzen zwischen Physis und Logos, die unsere heutige Welt und die Wahrnehmung davon determiniert und repräsentiert. Und die Frage, wie denn Information transportiert wird. Die Frage nach den Kanälen also. Und weiters die Frage danach, wie Kanäle der
Informationsübermittlung auf den Bestand und den Zustand von Dingen
einwirken. Auch die Frage nach den Kanälen der Informationsübermittlung
bestimmt auf eine sehr bildhafte Weise Pedrottis Arbeiten. So gibt es etwa eine Arbeit des Künstlers, die aus einer Reihe von Uhren besteht. Deren Antrieb ist Wasser, das komplexe Gefäßsysteme aus Schläuchen und Rohren durchfließt. Der Zeitfluß wird dabei vom Wasserdruck abhängig gemacht. Hier wird ersichtlich, dass Pedrotti die strukturellen Voraussetzungen von Systemen untersucht. Denn Zeitanzeige ist bei jeder Uhr von der Regelmäßigkeit eines Impulsgebers abhängig. Von dieser Regelmäßigkeit lassen wir unser gesellschaftliches Leben (mit)bestimmen. Hinterfragt man aber - wie Pedrotti das tut - einen Teil des Regelwerks, dann wird nicht nur das komplexe System dahinter ersichtlich, sondern auch klar, dass dieses System vom Fließen von Datenflüssen abhängig ist (auch eine mechanische Uhr ist von den aus sozialen Gründen vereinheitlicht vorgegebenen Zeiteinheiten abhängig und somit Symptom einer sozialen Konstruktion). Und es wird klar, dass dieses Fließen wiederum gleichzeitig Teil und Substitut einer Welt von Signifikantenströmen ist. „Mit den subjektiven zergehen zugleich die objektiven Identitätsvorstellungen, denen sich die Datenflüsse einer ‚Erfahrung‘ substituieren, die im buchstäblichen Sinne ‚unterwegs‘ ist, auf ‚unendliche Fahrt‘, um den verstreuten oder verräumlichten Verweisungen des Seins auf der Spur zu bleiben. In dieser infinitisemalen Erfahrung wird Erkenntnis in ausgezeichneter Weise der Zeitlichkeit des Seins inne und bezeugt, dass - wie Heidegger in den ... ‚Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs‘ formuliert - der ‚Vorrang der Präsenz der Verweisungsganzheit und der Verweisung von den in der Verweisung sich zeigenden Dingen‘ ein epistemologisches Hindernis ist. Erst durch die plötzlich eintretende ‚Unverwendbarkeit‘ eines Phänomens, die Störung eines ‚Defektes‘ in der Erfahrung, den ‚Bruch der vertrauten Verweisungsganzheit‘, macht sich das Mitspracherecht der Dinge im Informationsprozess geltend“ (Michael Wetzel. Verweisungen. Der semiologische Bruch im 19. Jahrhundert. In Arsenale der Seele. Friedrich Kittler. Georg Christoph Tholen. Hrsg. Wilhelm Fink Verlag, München, Seite 74). Und genau dieser Bruch der „vertrauten Verweisungsganzheit“ (Heidegger) vor dem Hintergrund eines sich fortwährend im Fluß befindlichen Zusammenhangs von strukturellen Entitäten und den Definitionen dessen, was Welt, Gesellschaft, Soziales, Politik etc. ist,
bestimmt die Arbeit Pedrottis.

Ein tieferer Hintergrund seiner Kunst ist also auch die Grenze der Repräsentation. Der Künstler macht deutlich, dass sich Systeme über Verweisungszusammenhänge definieren. Und dass diese Verweisungszusammenhänge ihrerseits sowohl die Verbindungen von
Signifikaten und Signifikanten mitbestimmen, als auch die Wahrnehmung
und Erfahrung von Welt bestimmen. Pedrottis Kunst besteht darin, diese
Abhängigkeiten (der Wahrnehmung) klar werden zu lassen. Ganz klar wird
das bei seinen „Wassermaschinen“. Diese wirken auf den ersten Blick wie
kybernetische Maschinen. Sie bewegen sich im Wasser. Sie reagieren auf
Umstände. Sie passen sich in ihrer Bewegung räumlichen Gegebenheiten an.
Sie erscheinen wie Vorrichtungen, die natürliche Strukturen kopieren oder auf sie rekurrieren. Sie sind wie organische Körper (dabei ist die Dichte am höchsten), so dicht wie möglich, dennoch funktional. Und Pedrottis Maschinen suggerieren dem Betrachter, dass sie ein Eigenleben haben. Dabei thematisieren sie eigentlich die Strukturen, an denen sich das Fließen orientiert. Die Führungsrinne eines Flußbettes ist hier die Referenz, an denen sich diese Maschinen orientieren. „Wenn die Veränderungen des Seienden anhand des Fließens vorgestellt werden, dann sollte auch die Frage nach dem Wesen des Flußbettes gestellt werden. Das Fließen als Zeitmetapher unterschlägt diese im Verhältnis zum fließenden Wasser unbewegliche Führungsrinne. Pedrottis "Wassermaschinen" legen diese Kanäle, die ein Fließen erst ermöglichen, frei“ (Theo Ligthart).


Die räumlichen Daten der Führungsrinne sind außerhalb der Maschine
gespeichert. Und sind vom Künstler in den sogenannten „Liliput-Katastern“ auch jeweils räumlich dargestellt. In der Maschine befinden sich Relaisschaltungen. Diese Schaltungen stellen die Lageinformation, die von außen kommt, in Beziehung zur Lage der Maschine. Die Maschinen symbolisieren sowohl per se als auch in ihrer Funktion in kompakter Weise das Leiten von Daten durch Raum. Die Schläuche haben dabei Kabelfunktion. Sie sind sozusagen die Leitungen der Maschinen. Die Liliput-Kataster (systemische verkleinerte Abbildungen der Führungsrinnen) sind strukturelle Aufschreibesysteme. Durch sie werden Strukturen zu Bildern. Sie symbolisieren aber auch die Voraussetzungen für den (Informations-)Fluß und für eine vieldeutige Wahrnehmung jenseits der sprachlichen Möglichkeiten. Und sie sind eine ironische Geste, insofern als der Verweis auf den Roman von Oliver Swift („Gullivers Reisen“) auch auf diese Beziehungen von Systemindikatoren
aufmerksam macht. Und Verschiebungen dieser Indikatoren (groß und klein
als relativierbare Größen) thematisiert. Bei Swift gibt es die sogenannten „Yahoos“ (Mischwesen - halb Mensch, halb Tier -, deren Eigenschaften sich aus verschiedenen Ursprungsformen zusammensetzen).

Dieses Relativieren von Beziehungen, die Fluktuation der Möglichkeiten zur Definition von beispielsweise Tier und Mensch, Ich und Welt, oder von Natur und Technik und die Vermitteltheit dieser Beziehungen (durch sprachliche, gesellschaftliche u.a. normative Systeme), also recht eigentlich die Erkenntnis, dass Strukturen Vorgänge eines dynamischen Geschehens sind und somit Systeme permeabel sein können, ist ein Hauptthema im Oeuvre von Pedrotti.



In der Installation „katalytische Reihung“ im Salesgraben (bei Fürstenfeld in der Steiermark) hat der Künstler eine Rohrleitung parallel zur Führungsrinne verlegt. Dadurch wird die Führungsrinne quasi verdoppelt. Und gleichzeitig wird dabei eine neue Art von Grenze gezogen. Durch die ironischerweise das System, das hier symbolisiert und abgebildet wird, durch seine eigene Verdopplung zu etwas Neuem wird. Die Installation selbst ist eine Art „Maschine“, die scheinbar ihre Kraft aus dem Wasser gewinnt, und symbolische Zahnräder antreibt. Obwohl sie eigentlich nur ein modellhaftes Abbild von Kräfteverhältnissen ist. So ist die Installation insgesamt ein Symbol für ein derzeit sehr mechanistisches Weltbild, dessen Auswirkungen sich beispielsweise ganz explizit etwa in diversen Managementmethoden erkennen lassen, bei denen es oft darum geht ein rationalisiertes, und insofern sehr mechanistisches Modell für menschliche Beziehungen und psychische Mechanismen herzustellen, das aber vordefinierte systemische Grenzen (in dem Fall konkret den Kapitalismus mit seinen Rationalisierungswünschen) braucht, um funktionieren zu können. Pedrottis Arbeit thematisiert genau diesen Zusammenhang von Systemgrenzen. Und er weist darauf hin, dass diese Grenzen immer auch in Auflösung begriffen (auch deshalb das Arbeiten mit dem indifferenten Material Wasser, das schon körperhaft gefasst werden
kann, aber dennoch nicht „fassbar“ ist) sind. Denn in seiner Arbeit entwickelt sich ein neuer Kreislauf, der auf einem bestehenden aufbaut. Er entwickelt sich aus den Strukturen des „alten“. Die Grenzen zwischen natürlich und künstlich (ebenso wie zwischen Fluß und Umwelt oder Flußbett und Schlauch) werden fließend, sie lösen sich (zwar nicht real, aber symptomatisch) auf. Das tun sie aber nur, weil in der Praxis neue gezogen werden. Dies wiederum basiert aber auf einer Analyse des Bestehenden. Denn dieses wird in Teilen kopiert. Es geht dabei also um ein Thematisieren von Grenzen, um das Entgrenzen von Grenzen verschiedener Systeme. Und es geht um das Thematisieren der Strukturen, die diese Grenzen sowohl als auch deren Auflösung ermöglichen. „Denkbar ist, dass eine Informationsmenge bei ihrem Weg durch eine Führungsleitung mit dieser zu kommunizieren beginnt, damit deren katalytische Eigenschaft zerstört und an uns vorbei durch eine Art Siphon ausläuft“, so der Künstler.


Und es geht um das Thematisieren der Einflussnahme von Analyse auf das
Analysierte. Ein Zusammenhang, der wiederum neue Beziehungen herstellt,
Beziehungsstrukturen zwischen Logos und Psyche quasi wieder zum Fließen
bringt. Pedrotti verweist nämlich mit seinen Arbeiten auch auf den Umstand, dass das Beobachtete vom Beobachter beeinflusst wird. In seinen Arbeiten wird - ähnlich wie bei der berühmten Heisenbergschen Unschärferelation (Position und Geschwindigkeit eines Elektrons können nicht gleichzeitig gemessen werden, da der Akt der Beobachtung entweder die Geschwindigkeit oder die Position des Elektrons verändert) – klar ersichtlich, dass es keine fest umrissenen Grenzen ontologischer Strukturen gibt, dass sich vielmehr alles immer auf etwas anderes bezieht. Dass diese Beziehungen sich andauernd ändern und ihrerseits wieder von anderen beeinflusst werden.


Franz Niegelhell, Wien 2001