Vom Paradox zur Analyse  
 


Günther Pedrottis Kunst scheint völlig paradox zu sein. So baut er etwa Uhren, die falsch gehen. Und er bringt Wasser dazu, dass es aufwärts fließt. Als rhetorisches Mittel, das vor allem in der Literatur verwendet wird, ist das „Paradoxon“ so etwas wie die Vereinigung scheinbarer Widersprüche in einer Aussage. Der Begriff „Paradoxon“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „das Unerwartete“. Es bezieht sich auf eine auf den ersten Blick alogische oder unsinnige Behauptung, die sich jedoch durch eine tiefer gehende gedankliche Analyse auflösen lässt. Das klassische Paradox besteht in der Umkehrung eines ursprünglich stimmigen Sachverhalts. Auflösen lässt sich das traditionelle Paradox also durch so etwas wie eine Art Rückumkehrung Und genau das gleiche macht Pedrotti bei der Fließumkehr, die er Fürstenfeld (2004) und in Schönegg (2006) gebaut hat.
Pedrottis Kunst erzeugt scheinbar einen Widerspruch zur Natur – dass nämlich Wasser nach oben fließt. In Wahrheit nutzt er nur die Energie aus, die durch einen natürlichen Vorgang entsteht, mechanisch aus. Die Rückumkehr des Wassers ist auf den ersten blick paradox. Auf den zweiten geht es um so etwas wie eine Eigenleistung des Wassers durch reine Bewegung, einen selbstständigen Umgang mit Energie. Durch die Schwerkraft wird das Wasser nach unten gezogen werden und schiebt sich dann wieder rückwärts. Die Arbeit Pedrottis funktioniert also fast wie ein Perpetuum mobile. Im Wesentlichen besteht sie darin, dass hier mit der Eigenfrequenz, mit dem Eigentakt des fließenden Wassers umgegangen wird und versucht wird diese(n) möglichst genau auf den Punkt zu bringen. Wenn man die ganze Vorrichtung etwa um drei Meter länger machte, würde sie nicht mehr funktionieren. So gesehen ist die Fließumkehr auch so etwas wie eine Metapher für die Mechanik an sich, denn Mechanik ist im Prinzip wie ein Umweg oder ein Umleiten von Energie. Das dazugehörige Prinzip stellt sich also dar, indem es gleichzeitig kippt. Solche Grundmotive, wie hier die Darstellung eines Paradoxons sind oft wichtige Bestandteile von Kunst. So ist etwa die Darstellung paradoxer Situationen auch charakteristisch für die Texte Franz Kafkas. Dieser fordert gerade durch eine Beschreibung unlogischer, widersprüchlicher und unlösbarer Situationen den Leser zu einer gedanklichen Auseinandersetzung heraus. Es ist auch genau das, was Pedrotti mit seiner Kunst schafft. Kafkas Paradoxien werden vom Literaturwissenschaftler Gerhard Neumann als „gleitendes Paradox“ beschrieben. Sie bestehen nicht nur aus der einfachen Umkehrung einer zunächst logischen Aussage. Kafkas „gleitendes Paradox“ zeichnet sich – laut Neumann - auch durch eine gedankliche Ablenkung von den eingefahrenen, gewöhnlichen Denkstrukturen aus. Diese Ablenkungen münden in einen Kreislauf, der sich niemals auflösen lässt und zu immer neuen Widersprüchen führt.
So betrachtet ist die Fließumkehr Pedrottis auch eine Metapher für das Kippen von Bezugssystemen, dargestellt durch das Kippen des Bezugssystems Raum und seinen Koordinaten. Und sie zeigt in weiterer Folge auch, dass in der heutigen durchrationalisierten Gesellschaft durchaus nicht alles als rationale Gesetzmäßigkeit wahrgenommen werden muss, was uns als solche verkauft wird. Es war immerhin der berühmte Winston Churchill, der sinngemäß sagte, er würde nur den Statistiken trauen, die er selber fälsche. Laut eigenen Angaben geht es Pedrotti in seiner Kunst auch durchaus darum Kreisläufe aufzubrechen. Das heißt also auch zu hinterfragen, ob ein Tatbestand, der als rational beziehungsweise als naturgegeben behauptet wird, mittels seiner Rationalität und/oder seiner natürlichen Gesetzmäßigkeiten nicht auch zu ganz anderen Ergebnissen als den im ersten Hinsehen behaupteten, führen kann. Auch bei seinen ersten Arbeiten mit Wasser ging es dem Künstler darum die im allgemeinen Sprachgebrauch und der allgemeinen Gedankenwelt oft benutzten Bilder der Schicksalhaftigkeit zu brechen. So etwa die verschiedenen Bilder vom Lebensfluss und dergleichen, die Unabänderlichkeit suggerieren. Das Wasser kommt in seinen Arbeiten immer wieder vor und spielt dort eine zentrale Rolle. In der Installation „katalytische Reihung“ im Salesgraben (bei Fürstenfeld in der Steiermark) hat der Künstler etwa eine Rohrleitung parallel zur Führungsrinne eines Gewässers verlegt. So verdoppelte er quasi die Führungsrinne. Dadurch wurde auch System, das hier gleichzeitig symbolisiert und abgebildet wird, durch seine eigene Verdopplung zu etwas Neuem. „Die Installation selbst ist eine Art „Maschine“, die scheinbar ihre Kraft aus dem Wasser gewinnt, und symbolische Zahnräder antreibt. Obwohl sie eigentlich nur ein modellhaftes Abbild von Kräfteverhältnissen ist.“ (Franz Niegelhell, 2001)
Das ist insofern sehr passend, weil heute manche Behauptungen, die im gesellschaftlichen Zusammenhang ontologisch den Zusammenhalt und das Funktionieren von Strukturen und Ordnungen deklarieren, kaum mehr hinterfragt werden. Die angebliche Objektivierbarkeit von alles und jedem zum Zwecke ihrer Verwertbarmachung und Verwertbarkeit im Kapitalismus beispielsweise. Gleichzeitig ist diese Objektivierbarkeit auch eine Energie, die mittlerweile zu so etwas wie einer unhinterfragten Naturgesetzlichkeit des menschlichen Zusammenlebens geworden ist.: „Zu dieser Pseudorationalität kommt eine weitere Gefahr: Indem sich die Diktatur des Kapitals hinter blinden und anonymen „Gesetzen“ des Marktes verschanzt, zwingt sie uns die Vorstellung von einer geschlossenen und unveränderlichen Welt auf. Sie verwirft jede menschliche Initiative, jedes geschichtliche Handeln, das aus der subversiven Tradition des noch nicht bestehenden, noch nicht erreichten, mit einem Wort: der Utopie hervorgeht“. So beschreibt diesen Zusammenhang der Kapitalismus-Kritiker Jean Ziegler. (Die neuen Herrscher der Welt, Goldmann, Seite 54) Ziegler weist – sehr verkürzt gesagt - nach, dass eine angeblich ideologiefreie neoliberale Ideologie behauptet die „Gesetze des Marktes“ wären so etwas wie Naturgesetze, die man nicht beeinflussen könne. Zusammengefasst in dem schönen Satz „Die Naturalisierung der Wirtschaft ist der eigentliche Trick der neoliberalen Ideologie“ (ebda, Seite 55)
Darauf, dass dieser Aspekt in der Arbeit Pedrottis eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, habe ich schon hingewiesen: „Auch die Installation „katalytische Reihung“ insgesamt ein Symbol für ein derzeit sehr mechanistisches Weltbild, dessen Auswirkungen sich beispielsweise ganz explizit etwa in diversen Managementmethoden erkennen lassen, bei denen es oft darum geht ein rationalisiertes, und insofern sehr mechanistisches Modell für menschliche Beziehungen und psychische Mechanismen herzustellen, das aber vordefinierte systemische Grenzen (in dem Fall konkret den Kapitalismus mit seinen Rationalisierungswünschen) braucht, um funktionieren zu können.“ (Niegelhell, 2001) Insofern kann man auch behaupten, dass die Verwendung des „Materials“ Wasser in seiner Kunst damit zu tun hat, dass es indifferent ist, dass also systemische Grenzen auch auflösbar sind.
Das Arbeiten mit und der Verweis auf das System als System zeigt sich bei vielen Arbeiten Pedrottis. So ist Zeitanzeige bei jeder Uhr von der Regelmäßigkeit eines Impulsgebers abhängig. Bei der Zeitmessung ist es heute ja so, dass ein Isotop des Elements Cäsium Strahlungen aussendet, deren Frequenz benutzt wird, um die „Offizielle“ Uhrzeit festzulegen. So ist die Einheit „Sekunde“ heute nicht mehr Teil einer Minute, sondern als Vielfaches der Frequenz der Cäsiumstrahlung definiert. Ebenso wie die Fließumkehr ein an sich naturhaftes Prinzip ausnutzt, es aber durch die eigenen Gesetzmäßigkeiten in eine Paradox umwandet, das wie ein Absolutum im Raum steht. Das war nicht immer so. Früher wurde versucht mittels Uhren wie mit einem Metronom Rhythmus in einen ansonsten eher chaotischen Fluss zu bringen. Insofern ist die Zeitmessung zwar sicher auch ein Modell für eine Ordnung, andererseits aber eben nichts absolutes. So war auch der erste Sinn für Uhren ein Bezugssystem zu schaffen und nicht die Zeitmessung per se. Erst im 15. Jahrhundert hatte Kardinal Nicolaus Cusanus gefordert bei naturwissenschaftlichen Experimenten alles zu messen, was zu messen möglich ist, was schließlich zur Präzisierung von Zeitmessung führte.
Die Zeitmessung zeigt also durchaus kein Absolutum, ebenso wenig wie die Fließrichtung des Wassers. Sie lässt sich umkehren.

Franz Niegelhell