"Die phantastische Reise durch einen Künstler", von Werner Schandor. Veröffentlicht im VIA-AIRPORTJOURNAL GRAZ, Ausgabe 1/2000  
 


Erinnern sie sich noch an den Film über das U-Boot, das auf mikroskopische Größe geschrumpft wurde und dann auf medizinische Mission in einen menschlichen Körper entsendet wurde? – Der in Wien lebende steirische Künstler Günther Pedrotti wäre vermutlich der erste, der sich freiwellig für so einen U-Boot-Einsatz melden würde, denn er hat ein Faible für das Röhrenhafte des Menschen. „Mehr als die Oberfläche von Körpern interessiert mich seine Öffnungen, und hier vor allem die Röhren. Der ganze Körper des Menschen besteht aus Röhren – Luftröhre, Speiseröhre, die Blutbahnen. Und das alles weist eine unglaubliche Beweglichkeit auf. Auch viele Körperorgane sind röhrenhaft angelegt. Sie lassen sich verschieben, funktionieren aber trotzdem. Das ist etwas ganz anderes als in einer Maschine“, schwärmt Pedrotti.

Kehren wir einmal die Rollen um, und stellen wir uns vor, wir wären die Besatzung des Mini-U-Bootes, und Günther Pedrotti wäre unser Tauchrevier. Es gilt, diesen Künstler zu erfahren, dessen Arbeiten sich der Einordenbarkeit weitenteils entziehen. Lassen wir uns also mittels Injektion in die Blutbahn Pedrottis jagen. Im Geflecht seiner Adern und Venen wird uns ziemlich sicher bald ein seltsames Gerät entgegenkriechen, das sich mit Füßchen aus Legostäben seinen Weg gegen die Strömung in der Röhre bahnt. Schon werden wir mit der uns umgebenden Flüssigkeit durch Gartenschlauchanschlüsse in das Innere des Objektes geleitet. Dann fließen wir in unserem Schwall über diverse miteinander verkoppelte Räder und Turbinen aus Blech, von denen die Füßchen angetrieben werden. Unermüdlich und stur bahnt sich dieser „Instruktor“ seinen Weg durch das Innere von Röhren. Wie wir später im Gehirn des Künstlers erfahren werden, handelt es sich dabei um eine Mischform aus künstlerischem Objekt und technischem Organ. Seine Funktion ist es, sich völlig selbstständig gegen Strömungen zu bewegen. „Es ist eine Röhre, die aus Röhren besteht und wieder durch eine Röhre geht, und zwar gegen den darin fließenden Wasserstrom“, sagt Pedrotti. Überhaupt: Immer wenn Pedrotti etwas fließen lässt – sei es, dass er Wasser durch Schläuche leitet, um damit Mechanismen anzutreiben, sei es, dass er Röhren in Bächen versenkt-, geht es darum, gegen die Fließrichtung zu wirken. Diese Experimente, hält der Kunsttheoretiker Theo Ligthart fest, „widerlegen zwar nicht die physikalischen Grundgesetze, aber sie stellen den Fluss als Zeitmetapher in Frage.“

Plötzlich befinden wir uns im Herz des Künstlers. Es überrascht uns nicht, auch in diesem Herz zwei Kammern anzufinden. Nur dass die eine Kammer nicht herzförmig, sondern würfelig ist. „Herzpumpe“ heißt diese Kammer. Sie besteht aus einem Eisengestell, in dem sich Abflussrohre und Elektroinstallationsröhren sowie verschiedenste Schläuche winden. Mit der wuchtigen „Herzpumpe“ hat Pedrottis Beschäftigung mit Röhren und Schläuchen 1990 seinen Ausgang genommen. Es folgten weitere Objekte, etwa die „Zufallsgeneratoren“ 1993, wo die Röhren auf und zwischen Plexiglasscheiben moniert sind. Diese Objekte wirken leichter und verspielter. Später sind sie – wie die „wasserbetriebenen Uhren“, die 1999 unter anderem im Berlin gezeigt wurden – zusätzlich mit Teilen aus Lego verbunden, die sich durch Wasserkraft bewegen lassen.


Funktionslos?
„Pedrottis Maschinen treten als phantastische Organprojektionen in Erscheinung“, erklärt Theo Ligthart im Katalogtext zur 1998er Personale „duplo-organics“, die im burgenländschen Rudersdorf und in der Berliner Galerie aroma gezeigt wurde. „Die Funktionen der „Wassermaschinen“ offenbaren sich beim ersten Blick nicht: Vorerst erscheinen diese Maschinen funktionslos. Erst bei genauerer Betrachtung werden sie produktiv. Es sind Maschinen, die Erkenntnisse hervorbringen können: Zeitmaschinen, die durch die plötzliche Umkehrung des Fließens die Vorstellung einer linearen Zeitordnung hinterfragen.“ Wir spüren wie der Boden unter unseren Füßen zu schwanken beginnt, und uns wird mulmig zumute, denn schon wieder kommt uns der „Instruktor“ entgegengekrochen.

Also zünden wir die Antriebe, und wir lassen uns in die zweite Herzkammer bringen. Hier sieht es freundlicher aus. Die Kammer ist herzförmig, und überall stehen seltsame, koffergroße Objekte aus Styropor herum, deren äußere Vertiefungen mit zerschnipselten bunten Luftballonen ausgekleidet und von milchig-transparenter Folie überzogen sind. Zumeist werden sie von einem Gürtel eingefasst. Hier vernehmen wir auch ein leises Kichern, das vom Zwerchfell des Künstlers kommt. „Der Luftballon ist für mich ein ironischer Archetypus. Mit Luftballonen kann ich darstellen, dass die Dinge an sich keine Bedeutung haben, sondern erst damit aufgeladen werden müssen. Ich kann damit aber auch das Konstruktionsprinzip und die Funktionsweise von Körpern sichtbar machen – in einer sehr ironisch gebrochenen Weise.“ Wer das sagt, ist nicht Pedrotti selbst, sondern sein „Selbstporträt als Luftballon“ – ein handkoffergroßer, bunt ausgelegter Styroporquader, der von einem dünnen Gürtel eingefasst wird. Die goldene Schnalle des Gürtels schaut ein Stückchen aus der plan gespannten, an dieser Stelle fein säuberlich ausgeschnittenen Transparentfolie hervor. Details sind wesentlich. Denn: „Ich will exakt arbeiten.“

Unser Blick wandert abwärts, und wir entdecken eine geheime Verbindung zwischen dem Herz und den Lenden des Künstlers. Eine anatomische Anomalie? – Links und rechts vor dem Zugang zu dieser Geheimröhre befinden sich zwei Objekte auf einem Sockel. Wir betreten den Gang, der uns in die Sexualsphäre des Künstlers entführt. Die Objekte erheben sich von ihren Sockeln und folgen uns schwebend. Das eine sieht aus wie eine geöffnete Knospe. „Petting bud“ heißt diese Skulptur, und am auffälligsten sind die drei Damenbinden, die auf Schaumstoffscheiben zu geöffneten Blütenblättern arrangiert sind. Dass es sich bei der Knospe in der Mitte um den aufgeblasenen Latexabguss eines Fingers handelt, sieht man erst auf den zweiten Blick. „Wenn man Sexuelles ironisch behandelt oder verfremdet, wird es sofort mit der Sexualität des Künstlers in Verbindung gebracht“, sagt Pedrotti. „Mir geht es in meinen Arbeiten um die Aufhebung der Geschlechterdifferenz. Und zum anderen stelle ich neue Varianten her, lasse meine Objekte Metamorphosen durchleben, um daran zu erinnern, dass Sex als Fortpflanzung nur eine Möglichkeit in der Natur darstellt, den DNA-Austausch zu sichern.“

Was die Aufhebung der Geschlechterdifferenz betrifft, nun ja: „... dann mit Luft gefüllt erinnert er an weibliche Formen“ nennt sich das zweite Objekt, das uns folgt. Wieder besteht es aus zwei aufgeblasenen Latexpenisen, diesmal sind sie zur Hälfte mit zerrissenen Strümpfen überzogen. Ein bisschen sehen sie aus wie zusammengewachsene Rumbakugeln. Mehr noch jedoch wie weibliche Brüste. „Ja, die Genderdebatte, die ab den 80ern die Kunstdiskussion beherrscht“, denken wir wichtig, „...künstlerische Lösungen der gesellschafts-politischen Geschlechterfrage ...“ Da hören wir ein Glucksen und Blubbern. Ein Blick durch das Periskop unseres U-Bootes zeigt an, dass wir auf eine bioaktive Flüssigkeit zusteuern, die in zwei Fässern gelagert ist. Kein Zweifel, wir nähern uns dem Zeugungsorgan des Künstlers: Dem „Elongator“. Zum Ausweichen ist es zu spät. Wir landen in jenem der beiden Fässer, das mit Wasser gefüllt ist. („Das Wasser als Ur-Element zieht sich durch alle meine Arbeiten.“) Ein Heizstab bringt es auf Körpertemperatur. Dann wird durch einen Kompressor flüssiger Latex in das andere Fass gedrückt, zusammen mit dem Wasser werden wir ebenfalls ins andere Fass gepumpt, und bei der Berührung mit beiden Flüssigkeiten nimmt der Latex eine endgültige Form an: Das künstlerische Kunstwerk des Elongators. Und von irgendwo vernehmen wir das Echo: „... um daran zu erinnern, dass Sex als Fortpflanzung nur eine Möglichkeit in der Natur darstellt, den DNA-Austausch zu sichern.“

Das Material antwortet
Noch bevor wir erfassen, in welches Kunstwerk wir verwandelt wurden, wird unser Gefährte von einem Sog erfasst, der uns auf eine lange Reise schickt. Nochmals fahren wir durch sämtliche Röhren des Körpers, werden an Organen vorbeigedrückt, wir spüren, wie wir steigen, die Speiseröhre hinauf, durch die Mund-, Nasen- und Stirnhöhlen, ganz hinauf, bis wir in Pedrottis Gehirn ein paar Fragen aufschnappen, die wir dem Künstler bei Gelegenheit stellen wollen. Zu verwirrend war diese Reise, als dass wir einen klaren Kopf behalten hätten können. Dasselbe Problem, erfahren wir auf telepathische Weise, hat auch Pedrotti selbst. Daher ist es für ihn wichtig, immer wieder durch Zeichnungen, Entwürfe und Skizzen Distanz zu seinen Ideen zu gewinnen, bevor die Objekte und Kunstmaschinen ihre endgültige Form erhalten. Die meisten seiner Arbeiten gehen vom Material aus. „Das Material antwortet“, sagt Pedrotti. „Ich lasse mich von den Dingen ansprechen, und reagiere darauf – der Rest passiert wie eine Kettenreaktion.“ Insbesondere sprechen ihn kunststoffartige Oberflächen an: Luftballone, Lego, Gartenschläuche, künstliche Früchte aus Plastik und nicht zuletzt Latex, wie es zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit liegt.

Anders als im Film aus den 70ern verlassen wir in unserem Mikro-U-Boot den Körper des Künstlers nicht in einer Träne, sondern in einem Schweißtropfen, der auf seiner Stirn steht. Pedrotti ist am Kunstmarkt (noch) nicht so präsent wie etwa seine Altersgenossen Michael Kienzer oder Manfred Erjautz. „Erfolg ist wünschenswert“, sagt er, „aber wichtiger ist es für mich, arbeiten zu können und das zu machen, was ich will. Das läuft nicht in jene Richtung, die am Kunstmarkt gerade geschätzt wird, aber das ist mir eigentlich egal.“

Mit dem Handrücken werden wir von der Stirn gewischt. Pedrotti spürt uns als Kribbeln auf der Haut. Bahnt sich eine neue Frage an? „An der Haut beginnen die Fragen, die Versuche, etwas über den Inhalt der Oberfläche zu erfahren. Deshalb ist die Verwendung von Latex als Material auch der Beginn eines Fragenkataloges [...]“, schrieb der Grazer Kunstkritiker Franz Niegelhell im Katalog zur Ausstellung „Kunst- und Moralgeschichten“, die 1995 im Rahmen des steirischen herbstes in der Galerie Eugen Lendl gezeigt wurde. Niegelhells nach wie vor gültige Einschätzung der Arbeiten Pedrottis lautet wie folgt: „Die Qualität seiner Kunst liegt in der Thematisierung von Fragwürdigkeiten.“ – Und in der Anregung der Phantasie, müsste man ergänzen.

Graz, 2000