Katalogtext anläßlich der Einweihung des Kreuzweges (1983-84) von Günther Pedrotti in der Augustinerkirche in Fürstenfeld am 29.11.1993  
 


Wolken sammeln Sichtbares
Und lösen sich dann in
Unsichtbarkeit auf, Alle
Erscheinungen haben die Natur von Wolken.
John Berger



LEBENS-RÄUME, SPURENSUCHE
Zu Günther Pedrottis „Fürstenfelder Kreuzweg“


W.ORTE hieß vor einigen Jahren eine Münchner Ausstellung. Sie handelte von der Wiederkehr eines Kunstparadigmas – vom Emblem. Von jener Symbiose aus Wort-Zeichen und Bild-Zeichen, die im Barock in ihrer vollen Blüte stand.
Günther Pedrottis „Fürstenfelder Kreuzweg“ (wie auch andere Arbeiten des steirischen Künstlers) hat mit Emblematik zu tun. Seine vierzehn, der klassischen katholischen Bilderfolge zur Passion Christi nachtgestalteten Bildtafeln verbinden Elemente unterschiedlicher Kommunikationssysteme zu zeitgenössischen Allegorien. Indem der Künstler seine Botschaften doppelt chiffriert, verändert er seine Mittelungen, fasst scheinbar Disparates zum sinnfälligen Ganzen, verwandelt scheinbar Banales zu Zeichen von existenziellem Belang. Aus höchst unterschiedlichen Worten und Orten wächst ein Universum. Was Pedrotti umreißt und benennt, ist gleichzeitig konkret und transzendiert. Bedeutungshorizonte werden überschritten.
Günther Pedrottis „Fürstenfelder Kreuzweg“ ist Geografie und Biografie. Der Lebens-Raum des Künstlers ist seine Basis, das Theater der Embleme, das Pedrotti auf dieser individuellen Grundlage eigener Erfahrungen und Anschauungen inszeniert, bleibt jedoch nicht der einzelnen Person des Autors verhaftet. Vielmehr sind die Bildwerke jenen Wolken Vergleichbar, die der Dichter und Essayist John Berger als Metapher aller Erscheinungen erkannte. Sichtbares wird gesammelt und anschaulich gemacht. Zumindest für alle, die die Sprache der Wolken entschlüsseln, verstehen können (um gleich den Verdacht, man müsse dazu einer elitären Hoch-Sprache kundig sein, zu zerstreuen: jeder, der will, kann; er muß weder Intimkenner von Fürstenfeld noch einer der Vita des Künstlers sein, er muß nur zu einem bereit sein: zu Offenheit).
Was Pedrotti in seinem „Fürstenfelder Kreuzweg“ tut, seine Methode der Bilderzeugung also, wurde bereits angesprochen – er überschreitet die Grenzen von Bedeutungskategorien, bricht Genres auf (auch jenes des Kreuzwegs herkömmlicher Art), formt traditionelle Inhalte um. Kurz: Pedrotti sagt alte Wahrheiten einfach anders. Daß er dabei große Traditionen (siehe oben: Barock) im Rücken hat und sich in bester Gesellschaft befindet, tut der Qualität der Arbeit keinerlei Abbruch. Künstler wie Anselm Kiefer, David Salle, Richard Prince, Barbara Kruger, Ludger Gerdes, Heiner Blum, Marie-Jo Lafontaine, Gilbert & George, Ashley Bickerton, Ken Lum, Urs Lüthi, Stephan Huber und viele andere sind im Spannungsfeld von Wort und Bild tätig, setzen sich über die einst (vielleicht) klar definierten kategorialen Unterschiede von Lesen und Betrachten, Schreiben und Malen souverän hinweg. Ihre (und Pedrottis) Konzepte fassen Wort und bild in Eins.
Das Wort bricht aus dem ihm zugedachten Raum gewissermaßen aus, erobert das Bild, ja, wird selbst Bild (in diesem Zusammenhang wäre es auch interessant die Wirkung von Bildtiteln, die nicht unmittelbar Bestandteil des von ihnen bezeichneten Kunstwerkes sind, zu untersuchen: obwohl auf einem Täfelchen, oder sonst wo, außerhalb des Bildes angebracht, sind wohl viele in ihrer interpretatorischen Richtungs-Weisung ein integraler Bestandteil, für den Betrachter/Leser oftmals von nicht geringerem Wert als das von diesem Titel benannte Exponat.
Bei Günther Pedrotti ist das Wort unmittelbar präsent, optisches Element von gleichwertigem Rang. Form und Inhalt treffen einander, treten in Beziehung mit den anderen Elementen der Tableaus – das eine als emphatische Affirmation des oder als ironische Distanzierung zum anderen. Bausteine einer umfassenden Strategie, es „anders“ zu sagen, allegorisch zu sagen. Pedrotti geht es nicht um Sprachspiele, ein „Nebeneinander-Hergemurmel“ ohne Belang (um den französischen Star postmoderner Philosophie Francois Lyotard zu zitieren). Pedrottis Allegorien nehmen den Auftrag des Motivs Kreuzweg ernst, sie sprechen von Leiden und ihren Bedeutungen in heutiger Zeit. Pedrottis Spurensuche ist eine, die nach Erkenntnissen strebt. Keine billig-metaphorische Schnitzeljagd a la Passion quer durch Fürstenfeld und um Fürstenfeld herum. Pedrottis Spurensuche ist vielmehr eine Schatzsuche, die davon ausgeht, was der deutsche Philosoph Hans Blumenberg in seinem grandiosen Buch über Bachs Matthäuspassion „die Weltverstrickung Gottes“ nennt.
Der „Fürstenfelder Kreuzweg“ reflektiert in seiner Wort-Bild-Qualität auch auf die Dialektik des Drinnen und Draußen, das Diesseits und Jenseits. Er handelt immer wieder vom Wunsch nach Geborgenheit in einer genau abgesteckten Geografie (Heimat?), aber auch von der Angst vor den Zwängen der Enge dieser begrenzten Geografie. Die genau lokalisierte Bestandsaufnahme Pedrottis zielt, so paradox das klingt, auf die Befreiung im Unendlichen. Indem sie das Sein des Menschen mit dem Sein der Welt konfrontiert, das Faktische mit dem Utopischen.
Günther Pedrottis W.Orte beschreiben zweifellos nicht das Paradies. Sein „Fürstenfelder Kreuzweg“ handelt vielmehr vom Verlust dieses Ausnahmeorts. Er handelt aber (wie letztlich jeder Kreuzweg) von der Hoffnung, ihn, diesen Ausnahmeort, wiederzugewinnen – in jenen kurzen Augen-Blicken (und Glücksmomenten), in denen die Wolken das von ihnen Gesammelte uns sichtbar machen.

Walter Titz, Graz