"Die gebastelte Zeitmaschine" Katalogtext zur Ausstellung in Berlin 1998  
 


Die gebastelte Zeitmaschine

„Alles fließt“, so lautet der berühmte Spruch Heraklits. Platon bezieht sich auf diese Aussage des Vorsokratikers, wenn er schreibt: „Es bewegt sich alles und fließt“. Heraklits Feststellung wird so gedeutet, dass die Sinneswelt sich in einem ununterbrochenen Fluß befindet. Diese Auslegung steht im Einklang mit der viel zitierten Aussage Heraklits: „Man kann nicht zweimal in den selben Fluß steigen.“ Platon unterscheidet zwei Wesensarten des Fließens bzw. der Bewegung: „Das Fließen als Metapher der Veränderung kann im Raum (durch Vertauschen des Ortes) und in der Zeit (durch Veränderung) vor sich gehen. Beide Aspekte des Fließens d. h. der Veränderung sind aber eng miteinander verknüpft. Veränderung bedeutet immer eine räumliche Umstrukturierung entlang der Zeitachse.

Die Installation >wasserbetriebene Uhren< von Günther Pedrotti visualisiert diese Problematik. Fließendes Wasser treibt vier nebeneinander angeordnete Uhren an. Die Zeit bildet sich durch die (räumliche) Bewegung der Zeiger ab. Die Geschwindigkeit der Zeiger entspricht aber nicht einer normierten Zeiteinteilung, sondern ist abhängig von der Fließgeschwindigkeit des Wassers. Wir haben es daher nicht mit einem neuzeitlichen Zeitmessgerät zu tun. Vielmehr verdeutlicht Pedrotti in dieser Arbeit, wie Zeit metaphorisch gedacht wird. Als Fluß, dessen Fließrichtung irreversibel ist, wird die Zeit erfasst. Eine Zeitkonstruktion, die die Zeit als sukzessive Gegenwart in einem äußerlichen Verhältnis von Vorher und Nachher deutet. Die Vergangenheit wird als gewesene Gegenwart und die Zukunft als künftige Gegenwart beschriebenen. Diese lineare Konstruktion der Zeit ist ein räumliches Modell. Die Zeit wird als Vektor gedacht, der einen Anfang hat und einem Ende entgegenstrebt.

Unserer empirischen Wahrnehmung scheint zu widersprechen, dass die Zeit sich aus der Zukunft kommend in Richtung Vergangenheit bewegt. Ebenso widerspricht es unseren Vorstellungen der physischen Welt, d. h. der Physik, dass ein Fluß nicht zur Mündung, sondern zur Quelle fließt. Pedrotti führt aber vor, dass man die Naturgesetzte spielerisch unterwandern kann. Er verlegt in einem Bach ein Rohr, dessen Gefälle dem des Baches entgegengesetzt ist. Das Wasser dringt in die nahe der Wasseroberfläche befindliche Öffnung des Rohrs ein und fließt entgegengesetzt der Fließrichtung des Baches der Quelle entgegen. Dieses Experiment widerlegt zwar nicht die physikalischen Grundgesetze, aber es stellt den Fluß als Zeitmetapher in Frage.

Wenn die Veränderungen des Seienden anhand des Fließens vorgestellt werden, dann sollte auch die Frage nach dem Wesen des Flussbettes gestellt werden. Das Fließen als Zeitmetapher unterschlägt diese im Verhältnis zum fließenden Wasser unbewegliche Führungsrinne. Pedrottis >Wassermaschinen< legen diese Kanäle, die ein Fließen erst ermöglichen, frei. Seine Maschinen erscheinen als organisch wuchernde Gebilde, deren komplexe Gefäßsysteme aus Schläuchen und Rohren geformt sind. Ein wassergesteuerter Zufallsgenerator ermöglicht die Umkehrung der Fließrichtung der Wasserkreisläufe. Die >Wassermaschinen< sollen nicht zirkuläre Prozesse veranschaulichen, wie dies von Beuy´s >Honigpumpe< behauptet wurde. Nicht der Kreislauf als Symbol des Lebens wird hier dargestellt, sondern die Reversibilität von Prozessen. Da die Fließrichtung sich jederzeit und zufällig umkehren kann, besteht weder die Möglichkeit die >Wassermaschinen< als zirkuläre Abfolge zu definieren, noch lassen sich innerhalb dieser Systeme Anfang und Ende, Quelle und Mündung, oder Ursprung und Ziel festlegen.

Günther Pedrottis Arbeitsweise ist zugleich die eines Bastlers, als auch die eines Gelehrten. Lévi-Strauss trifft die Unterscheidung zwischen einem Bastler und einem Ingenieur um das Verhältnis von Mythos und Wissenschaft zu umschreiben. Während der Ingenieur seine Werkzeuge und Rohstoffe je nach Projekt plant und beschafft, sind die Mittel des Bastlers begrenzt. „Die Regel seines Spiels besteht darin, jederzeit mit dem, was ihm zu Hand ist, auszukommen,“ schreibt Lévi-Strauss. Die Begrenzung der Mittel ergibt sich für Pedrotti daraus, dass er seine Maschinen nahezu ausschließlich aus industriell gefertigten Produkten konstruiert. Er verwendet häufig Materialien, die schon als Baukastensysteme am Markt angeboten werden, wie z.B. Poloplast-Rohre, Gardena-Gartenschläuche oder Lego. Aus der Kombination dieser Systeme baut er seine eigenen Systeme. Die >Wassermaschinen< muten durch das Arrangement aus diversen vorgefertigten Elementen mehr als Bastelarbeit an. Ihre Erscheinung ist eher vom Zufall des Warenangebots als von einer Notwendigkeit einer Konstruktion geprägt. Die Funktionen der >Wassermaschinen< offenbaren sich beim ersten Blick nicht . vorerst erscheinen diese Maschinen funktionslos. Erst bei genauer Betrachtung werden sie produktiv. Es sind Maschinen die Erkenntnisse hervorbringen können: Zeitmaschinen, die durch die plötzliche Umkehr des Fließens die Vorstellung einer linearen Zeitordnung hinterfragen.

Pedrottis Maschinen treten als phantastische Organprojektionen in Erscheinung. Die Organprojektionstheorien, wie sie seit Ernst Kapp Ende des 19 Jhdts. beschrieben werden, zeigen, dass sie nicht immer von der Projektion des naturalistisch verstandenen Körpers des Menschen ausgehen, sondern von einer abstrakten Vorstellung des Organismus. Die Technikproduktion wird hier durch den menschlichen Organismus erklärt, welcher bereits vorher als technisch und instrumentell aufgefasst werden muß. Daß Projektionsvorbild ist immer schon der gesunde, intakte, technisch-instrumentalisierte Organismus. Diese Vorstellung richtet sich wiederum nach den funktionellen Vorgaben technischer Gegenstände. Von daher wird verständlich, wieso die kybernetische Theorie sich durch die Rückkoppelung von Projektionstheorien definiert. Die Organe des Menschen müssen zuerst instrumentell, funktionell und isoliert betrachtet werden, bevor sie Vor- oder Urbild für technische Entwicklungen sein können. In diesem Fall wäre die Technik nur das Nachbild der menschlichen Organe, die bereits instrumentell verwendet und als disponible Mittel unabhängig vom eigenen Leib beschrieben werden. Gleichzeitig bedarf es aber der Technik, damit die Techniktheoretiker die Organe technisch, instrumentell auffassen können. Die menschlichen Organe werden hiermit zum Nachbild technischer Betrachtungen. Die Organprojektion bezieht sich hier offensichtlich nicht auf den menschlichen Körper uns seine Organe, sondern auf eine Technifizierung des Organismus, die auf der instrumentellen Vorstellung des menschlichen Organismus beruht. Der Organismus wird in der Organprojektionstheorie zugleich Vorbild und Nachbild der Technik. Wenn die Kybernetik die Organe als disponible Mittel betrachtet, die verstärkt, vergrößert und perfektioniert als Prothesen projektiv abgebildet werden, dann wird dieser Instrumentalisierung der menschlichen Organe unterschwellig immer schon ein Zweck zugeordnet. Pedrottis Maschinen verdeutlichen dieses Problem der Organprojektionstheorien, dann als Objekte erscheinen sie als schematische Nachbildungen von Herzpumpen. Ihre Funktion, bzw. ihr Zweck begreift sich jedoch als Abbildung von analytischen Denkmodellen. Die Differenz von Form (Herz-Abbildung) und Funktion (Abbildung einer Denkstruktur) thematisiert Günther Pedrotti in seinen Arbeiten: Die >Wassermaschinen< „denken“ zwar nicht mit den Knie, dafür aber mit dem Herz.

Theo Ligthart